Liebe Leser:innen, Stefan Angstl, Fraktionssprecher im Kreistag für uns Grüne und 3. Bürgermeister von Burghausen, hat uns sein Jahresinterview im Originaltext zukommen lassen, welches in der PNP erschienen ist:
Herr Angstl, war 2023 das vierte Krisenjahr in Folge – nach Corona und dem Angriffskrieg auf die Ukraine und den Folgen?
Sicher haben die zahlreichen Krisen den Landkreis beschäftigt, dazu zählt neben Corona auch der Krieg in der Ukraine. Ähnlich spüren wir die Auswirkungen der Klimakrise, die sich in Hitze, starkem Niederschlag (auch Schneefall) und umgekehrt sinkendem Grundwasserspiegel aufgrund der steigenden Tempraturen äußert. Weitere Kriege oder Terrorismus betreffen immer v.a. die Menschen vor Ort mit aller kaum vorstellbaren Brutalität, ob in Syrien, Jemen, Israel und Gaza,der Sahelzone, in Kolumbien oder im Kongo. Indirekt spüren die Länder der EU das natürlich durch die Zunahme der Migration. Nicht nur weltweit, sondern ebenso im Landkreis Altötting ist Aussterben von Arten ein sichtbares Thema und der Verlust fruchtbaren Bodens. Allerdings lässt sich gegen die Krisen etwas tun, und das ist die wichtige Botschaft. Wir können zum Beispiel hier vor Ort und zudem über Entwicklungshilfe den Aufbau von Humus als Grundlage der Lebensmittelversorgung aktiv unterstützen oder das Wasser sauber halten und vor Verschwendung schützen.
Ein bestimmendes Thema in der Bürgerschaft ist die Migration. Wie beurteilen Sie das Engagement des Landkreises? Fühlen Sie sich ins Handeln und in die Entscheidungen gut eingebunden – insbesondere was die Unterbringung anbelangt?
Besonders lobenswert ist das Engagement der Landkreis-Verwaltung bei der Unterbringung sowie der beteiligten Städte, die viele Menschen beherbergen. Andere engagieren sich noch gar nicht und daher ist das Ziel einer möglichst gleichmäßigen Unterbringung noch nicht erreicht, würde aber helfen, alle einzubinden und noch nicht genutzte Räume besser auszulasten. Schließlich profitieren auch zahlreiche Vermieter von der teilweise dezentralen Unterbringung von geflüchteten Menschen. Insofern ist das Handeln des Landratsamtes auf dem richtigen Weg, sollte aber noch mehr im ganzen Landkreis unterstützt werden. Dann würde das Thema Migration generell transparenter und als gemeinsame bzw. längerfristige Aufgabe verstanden. Schließlich geht es durchaus um die Integration und die Qualifizierung von Fachkräften, die wir dringend brauchen, ob in der Pflege, im Handwerk oder anderswo.
Ein vieldiskutiertes Thema ist der Windpark im Staatsforst. Unterstützen Sie das Vorhaben? Sind Sie zufrieden mit dem Fortgang und Sachstand?
Große Maßnahmen für Energie oder Verkehr sind in einem vergleichsweise dicht besiedelten Gebiet immer mit entsprechenden Diskussionen verbunden. Windenergie stellt eine wichtige Möglichkeit dar, eine insgesamt bessere Versorgung zu erreichen, weil die wahren Kosten dabei am geringsten sind. Alleine der Rückbau der Braun- und Steinkohle-Gebiete in Deutschland kostet Milliarden, die Öl- und Gasfördergebiete z.B. in Kanada oder Russland sind genauso wie in arabischen Ländern auf Jahrzehnte hinaus zerstört. Dass wir erst ca. 2040 überhaupt wissen, wo unser Atommüll mit Milliardenkosten sicher gelagert werden soll, zeigt die Schwierigkeiten anderer Energieträger. So gesehen ist die Entwicklung des Windparks im Landkreis ebenfalls noch am Anfang und nicht so schnell, wie wir sein hätten können, wäre das Signal der UN-Klima-Konferenz von 1992 rechtzeitig aufgegriffen worden. Dann wären die Untersuchungen zu den Potentialen deutlich weiter und könnten zeigen, dass es noch weitere Flächen im Landkreis gibt, die aber nicht der Bayerischen Staatsregierung unterstehen, sondern privat sind. Es könnten dazu wesentlich mehr Bürgerinnen und Bürger im Landkreis davon profitieren und die Kommunen von Anfang an besser eingebunden werden. Eine koordinierende Rolle kommt hierbei dem Landratsamt zu. Schließlich dürfen Falschinformationen nicht zu Emotionalisierung und Spaltung im Landkreis führen.
Ein weiteres zentrales Thema ist das Geld. Der Haushalt wird maßgeblich beeinflusst durch das Millionendefizit des InnKlinikums. Was muss die Klinikleitung tun, was der Landkreis und was Bund und Land, um dieser Schieflage Herr zu werden?
Aufgrund vieler Umstände haben sich die Kosten für die Kliniken erhöht, z.B. durch gestiegene Energiepreise oder Spezialisierungen, durch welche sich private Klinikträger die gut bezahlten Behandlungen sichern, ohne gleichermaßen die Grundversorgung für die Bevölkerung zu sichern. Diese muss deshalb von der Klinikleitung gewährleistet und ausgebaut werden. Gleichzeitig müssen die Entwicklungen der letzten Jahre, z.B. die ambulante Behandlung oder die Digitalisierung, noch besser zum Wohl der Bevölkerung genutzt und gleichzeitig das Defizit abgebaut werden. Der Landkreis muss dabei mit dem Verwaltungsrat kritisch prüfen, dass dabei die richtigen Weichenstellungen getroffen werden. Der Bund ist zuständig für das Gesundheitswesen und könnte u.a, noch mehr für die vorausschauende Prävention tun, damit manche Behandlungen erst gar nicht stattfinden müssen, sondern gesundheitliche Maßnahmen schon vor dem Krankenhaus stattfinden, etwa auch zu Hause. Die Bayerische Staatsregierung ist zuständig v.a. für die Gebäude und sollte ihre Investitionen nicht nur über die Klinikabgabe der Landkreise, sondern darüber hinaus langfristig mit genügend Finanzmitteln bestreiten, mit denen die begonnenen und anstehenden Umbauten stattfinden können, z.B. der Notaufnahme in Altötting.
Der Landkreis selbst leidet auch unter dem Klinikminus, Neuinvestitionen liegen auf Eis. Wofür muss künftig das Geld investiert werden?
Vor allem muss der Landkreis seine Gelder zielgerichtet ausgeben und dabei genau überlegen, was langfristig für die Zukunft unserer Bürgerinnen und Bürger erforderlich ist. Dazu gehören sicher die Schulen, die für unsere Kinder und Jugendlichen eine gute Ausbildung ermöglichen, mit der sie nicht nur sichere Berufe ausüben, sondern auch ihr Alltagsleben besser gestalten können. Nach der Turnhalle am König-Karlmann-Gymnasium steht eine Lösung für die FOS/BOS und die Berufsschule gleichberechtigt an und an der Herzog-Ludwig-Realschule ist es an der Zeit, die Schule modern zu gestalten. Bei den Gymnasien muss berücksichtigt werden, dass es bald einen ganzen Jahrgang mehr geben wird und an den kirchlich getragenen Maria-Ward-Schulen stehen Investitionen für die Sanierung der Gebäude an.
Wie soll das gehen – durch neue Schulden oder eine Erhöhung der Kreisumlage?
Der Landkreis muss sich sehr genau die Ausgabeseite anschauen und wo man mittelfristig Kosten einsparen kann. Nachdem die Gemeinden und Städte viele eigene Aufgaben zu stemmen haben, ist eine Erhöhung der Kreisumlage kaum vorstellbar. Es ist umgekehrt hilfreich, dass der Bezirk seine Forderungen in diesem Jahr nicht erhöht hat, so dass sich kleine finanzielle Reserven ergeben könnten. Neue Schulden wären nur zu rechtfertigen, wenn damit dringend benötigte Investitionen getätigt werden, die z.B. helfen, weitere unsinnige Ausgaben zu verhindern. Bei der Berufsschule etwa ist es offensichtlich, dass es zu viel Geld kostet, beispielsweise eindringendes Wasser nur durch Notmaßnahmen zu vermeiden, so dass hier besser gleich Nägel mit Köpfen gemacht werden sollten.
Eine kostspielige Pflichtaufgabe könnte die PFOA-Deponie. Und die Bearbeitung der Schäden durch HFPO-DA, auch bekannt als GenX. Wie soll die finanzielle Schadensregulierung funktionieren, wenn die Firma Dyneon ihre Produktion schließt und nicht mehr greifbar ist?
Falls es wirklich so kommen sollte, dass eine hauptverantwortliche Firma sich ohne den verursachten Schaden zu bezahlen aus der Produktion im Landkreis zurückzieht, weil z.B. große Summen als Entschädigung in den USA fällig sind, muss zunächst über die Handelsabkommen der EU mit den USA versucht werden, hier zu einer Gesamtlösung zu kommen, die ja nicht nur Burgkirchen bzw. Gendorf betrifft. Danach wäre es interessant, wer in den Jahrzehnten steuerlich am meisten davon profitiert hat und damit eine Art indirekten finanziellen Bezug dazu hätte. Insgesamt ist bei der Deponie aber davon auszugehen, dass zumindest eine erste Einrichtung noch über Dyneon abgewickelt werden kann. Die Landesbehörden sind dann in Zusammenarbeit mit dem Landkreis gefragt zu klären, wie genau eine sinnvolle Bearbeitung der Schäden geregelt werden kann, ohne dass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger davon übermäßig betroffen sind. Eine Lehre sollte man dabei unbedingt aus den Vorgängen rund um TechnoSan ziehen.
Was würden Sie als größten Erfolg des Jahres 2023 für den Landkreis Altötting bezeichnen?
Ein wichtiges gemeinschaftliches Erlebnis war sicher die Bewältigung der Anforderungen im Winter, weil es gelungen ist, die Folgen des Angriffs auf die Ukraine zu bewältigen. Im Miteinander von Bund, Land und dem Landkreis konnten erfreulich viele Menschen aus dem Kriegsgebiet aufgenommen und versorgt werden. Beispielsweise haben die Schulen schnell mit Brückenklassen große Verantwortung übernommen und bei der Integration und dem Lernen der deutschen Sprache, aber auch einem verlässlichen Schulbesuch geholfen. Viele Menschen haben sich ehrenamtlich gekümmert und gezeigt, was Mitmenschlichkeit gegenüber Geflüchteten bedeutet. Außerdem wurde die Energiekrise gemeistert, so dass niemand ohne Strom, Heizung oder Benzin sein musste.
Welche Erwartungen haben Sie für 2024, was steht ganz oben auf Ihrer politischen Agenda für das neue Jahr?
Im Jahr 2024 sollten wir zusammen aus den vergangenen Jahren lernen und uns auf das Wesentliche konzentrieren. Dabei steht im Vordergrund, unseren Beitrag zu den künftigen Herausforderungen zu leisten und diese kennen wir seit vielen Jahrzehnten. Für unsere Landwirtschaft muss daher eine breitere Basis geschaffen werden, die den Erwerb auch in Zukunft sicher stellt, ob verantwortungsvoll konventionell oder verstärkt ökologisch. Ein Beispiel wäre die generelle Berücksichtigung im Landkreis erzeugter Produkte, z.B. im Krankenhaus, auf dem Bauernmarkt, in Schulen, Kitas oder Kantinen. Außerdem müssen hiermit verbunden Artenschutz, Wasserschutz und Bodenschutz größeres Gewicht erhalten, damit gerade die natürlichen Grundlagen für unsere Bevölkerung und unsere Enkelkinder bewahrt werden. Mit der Ökomodellregion gibt es hier einen wichtigen und kostengünstigen Hebel zur Umsetzung der notwendigen Punkte. Die Energiefrage steht damit in Verbindung und hier müsssen alle an einem Strang ziehen, weil nicht zuletzt das Einsparen im überflüssigen Verbrauch uns ermöglicht, weniger Geld für notwendige neue Maßnahmen auszugeben, das reicht von den privaten Haushalten über den Landkreis und die Gemeinden bis zur Wirtschaft. Daher sollten die Möglichkeiten für regenerative Energien insgesamt genauer untersucht und ausgeschöpft werden
Herr Angstl, was wünschen Sie dem Landkreis und seinen Bürgern für das neue Jahr und welches sind Ihre persönlichen Wünsche für Ihre Familie und Sie selbst?
Im Mittelpunkt stehen immer die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis, die für 2024 vor allem einen guten Ausblick in die Zukunft haben sollten, um mit Zuversicht die kommenden Aufgaben zu bewältigen. Daher ist weniger der ideologisch motivierte Streit und die einseitige Ablehnung von Lösungen oder anderen Meinungen entscheidend, sondern der gemeinsame Wille, es besser zu machen. Dafür können alle auf ihre Weise etwas tun und selbst ein kleiner Beitrag ist wichtig. Das sieht man sehr schön, wenn z.B. Kinder mit großem Engagement Müll sammeln oder sich um andere Generationen in den entsprechenden Einrichtungen kümmern. Ihr Vorbild ist der Beweis für die vielen Möglichkeiten, die wir haben, und die wir nutzen sollten. Dann wird ein friedliches und lebenswertes Miteinander viel einfacher und zukunftsorientierter. Einen großen Beitrag leisten hierfür nicht zuletzt die zahlreichen Ehrenamtlichen, denen ausdrücklich großer Dank zukommt.